Vor ein paar Wochen im Speyerer Dom. Es ist Sonntag. Die Messe hat gerade begonnen. Ein Chor ist zu Gast, aus Herford. Um die hundert Frauen und Männer haben hinter dem Altar Position bezogen.
Leise kriechen die ersten Töne aus der Orgel hervor, so als hätten sie verschlafen. Dann kommt der Chor, sachte und irgendwie freundlich klingt das. „Kyrie eleison“, singen sie. Herr, erbarme dich. Die Töne wachsen in der großen Kirche, steigen auf wie eine Wolke, vermischen und verteilen sich. Jean Langlais hat das komponiert, wird mir am Schluss eine der Sängerinnen sagen. Ein Franzose, einer der experimentierfreudigsten Komponisten und Organisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie ich später lese. „Christe eleison“. Mit zwei Jahren wurde Langlais blind, ein Glaukom, Grüner Star war die Ursache. Die Orgel schreit auf, stöhnt, ruft, schreit. „Christus, erbarme dich.“ Der Organist „pöhlt“ dazwischen, so würde es vielleicht Jürgen Klopp ausdrücken. Der Chor springt hinterher, beschwörend, frohlockend, aber immer wieder singt er dunkle Wolken in den Jubel, dissonant, schwer. Dampf ablassen, danach klingt das, Druck aus dem Kessel lassen, dieser Gesang ist kein unbeschwerter Jubel, eher Aprilwetter.
Die ersten KirchenbesucherInnen stehen auf, treten aus den Bänken und gehen. Vielleicht ist es zu viel für sie. Der beeindruckende erhabene romanische Raum. Die frische Sonntagssonne, die von draußen in den Dom strahlt. Frisch gewaschene Sonntagsgesichter und gestärkte Hemdkrägen. Und dann dieser schwere Gesang, der davon erzählt, dass es alles irgendwie nicht so einfach ist mit Gott. Im Kyrie geht es darum, Gott zu begrüßen und ihn darum zu bitten, dass er bitte, bitte Erbarmen mit der Erde, mit den Menschen hat. Die einander Stöcke zwischen die Beine werfen und sich das Leben schwer machen. Die sich nicht immer feierlich und rücksichtsvoll verhalten, zickig und intrigant sein können. Sich trotzdem freuen, dass sie leben dürfen, miteinander feiern und beten. Die ganze Widersprüchlichkeit der Menschen, auch meine eigene, wie ich bestürzt merke, steigt gerade mit der Musik durch den Raum, liegt im leichten Vibrieren der Bänke, als die Orgel Vollgas gibt. Wahnsinn, denke ich, die Musik ist ein Spiegel. Es ist so, als betrachtete ich mich, als betrachteten sich alle Menschen, die heute Morgen hier sind, im Spiegel. Die Musik beschreibt das: Meine Situation, die der anderen Menschen und die Situation zwischen uns und Gott. Und die ist heute irgendwo zwischen tosendem Jubel, großer Betrübnis und leiser Scham. Du hast alles richtig gemacht, Jean Langlais, entfährt es mir leise. Du hat alles richtig gemacht.
Like ice in the sunshine
Was soll der Quatsch? Wirst du jetzt vielleicht sagen. Soll er sich doch schräge Orgelmusik anhören, von der man Kopfschmerzen bekommt. Oder Zahnschmerzen. Was habe ich davon?
Tja, ehrlich gesagt sind mir zwei Sachen wichtig. Erstens musst du spüren: Musik ist eine ganz eigene Sprache. Und mit dieser Sprache der Musik können Menschen Dinge ausdrücken, was mit der normalen Sprache nicht immer so gut geht. Zum Beispiel Gefühle und Stimmungen. Ein inneres Bild, zum Beispiel Freude. Oder Nachdenklichkeit. Oder den aufziehenden Sommer und die Empfindungen, die bei dem Gedanken daran in mir aufsteigen: „Like ice in the sunshine I´m melting away“. Man braucht die paar Zeilen doch nur zu summen, und schon wird’s einem wärmer, oder nicht?
Oder kennst du das – meiner Meinung nach – traurigste Lied der Welt? „Fields of Gold“ heißt es. Eigentlich ist es von Sting, dem ehemaligen Police-Bassisten. Aber es gibt eine Version von Eva Cassidy. Sie spielt und singt das Stück in einem derartig verschleppten Tempo und begleitet sich dabei lediglich selbst mit der Gitarre.
„Du wirst dich an mich erinnern,
wenn der Westwind über die Gerstenfelder weht.
Du wirst die Sonne dort oben in ihrem eifersüchtigen
Himmel vergessen,
während wir durch Felder aus Gold gehen.“
Ich sage dir: Hör dir mal dieses Lied an. Selbst wenn du dich mit Musik nicht wahnsinnig toll auskennst: Wenn dich diese Musik nicht berührt, dann weiß ich auch nicht weiter. Vielleicht solltest du dann mal über glühende Kohlen laufen oder in einem zugefrorenen Teich baden gehen, um deine Empfindungen zu überprüfen. Kleiner Scherz! Man muss noch nicht mal wissen, dass Eva Cassidy eigentlich total unbekannt war und nur durch einen Zufall durch ein größeres Publikum entdeckt wurde. Man muss auch nicht wissen, dass sie kurz nach dieser Aufnahme ziemlich tragisch gestorben ist.
„Ich habe nie leichthin ein Versprechen gegeben
und manche Versprechen habe ich gebrochen.
Aber ich schwöre dir, dass wir den Rest unserer Tage
durch Felder aus Gold wandern werden.“
Da du diese Geschichte nun schon mal kennst, hättest du bereits einen wichtigen Teil für einen ersten Impuls gefunden. Ich finde, das Lied kannst du prima bei einem Gebet oder Gottesdienst zum Thema „Tod und Auferstehung“ oder „Hoffnung“, aber auch zum Thema „Liebeskummer“ verwenden.
Aber worum es mir eigentlich geht: Es gibt die Sprache der Musik. Sie kann viele Dinge großartig und viel besser ausdrücken als Worte und Sätze. Und du solltest wissen, dass es diese Sprache gibt. Und dass sie auch im Gottesdienst verwendet wird.
Also solltest du dich zweitens damit auskennen und ein Gespür dafür bekommen. Und ehrlich gesagt: Wahrscheinlich hast du schon ein viel besseres Gespür dafür als ich. Denn du benutzt Musik täglich auf deinem iPod, sammelst sie und hörst bestimmte Musik und ganz bestimmte Lieder wahrscheinlich nicht wahllos, sondern genau zu bestimmten Anlässen, zum Beispiel, um bestimmten Gefühlen in dir einen Ausdruck zu geben. Und du sprichst mit anderen darüber und erfährst, auf welche Musik sie stehen, was diese Musik ihnen bedeutet und was sie für sie ausdrückt. Gut so! Denn letztlich geht es bei der Musik im Gottesdienst um nichts anderes. Und ich gebe dir noch einen Tipp: Zieh dir auch mal solche Orgelmusik rein oder tu dir einen Chor an, wie ich es im Dom von Speyer gemacht habe. Vielleicht verwirrt oder verstört dich derartige Musik. Vielleicht überwältigt sie dich auch. Vielleicht denkst du wie ich: So stellt sich Jean Langlais also die Gegenwart Gottes vor: Ein Mix aus Schauder, Angst, Jubel und Übermut. Wahnsinn.
Jumpin´ Jack Flash
Da fällt mir das ein, was ich über Keith Richards, den Gitarristen der Rolling Stones gelesen habe. Okay, vielleicht denkst du, die Rolling Stones hören bestenfalls meine Eltern oder sogar meine Großeltern. Vielleicht kennst du Keith Richards aber in seiner Filmrolle als Captain Teague Sparrow, den Vater von Jack Sparrow im Film „Piraten der Karibik“. Irgendwo berichtet er jedenfalls mal über eine Art von spirituellem Phänomen, das er beim Musizieren verspürt. Mitunter, so erzählt er in seiner Autobiographie, vergesse er beim Gitarrenspiel Raum und Zeit und scheine dann wie zu schweben. Man könnte es auch so ausdrücken, wie ein Journalist anlässlich des 50. Geburtstages der Band schrieb: „Richards strebt an der Gitarre weniger technische Perfektion an als musikalische Kontemplation: Er könne den Song „Jumpin’ Jack Flash“ die ganze Nacht hindurch spielen, wenn seine Handgelenke es aushielten.“ Was Keith Richards vielleicht ausdrücken will: Musik hilft dabei, sich Gott zu nähern. Sich zu sammeln und zu konzentrieren. Innerlich still zu werden. Nichts anderes meint Kontemplation, die durch eine Haltung von Ruhe und sanfter Aufmerksamkeit auf einen Gedanken bestimmt ist und dazu beitragen soll, einen besonderen Empfindungszustand oder eine Bewusstseinserweiterung zu erreichen. Kurios, dass ein Gitarrenriff aus einem Lied mit dem Titel „Springteufel“ dabei helfen soll! Aber warum nicht.
Help! I need somebody
Na ja, wirst du vielleicht einwenden. Weder spiele ich Gitarre wie Keith Richards, eine Messe wie Jean Langlais habe ich auch noch nie komponiert. Ich spiele noch nicht einmal annähernd so gut Blockflöte wie meine kleine Schwester oder mein Patenkind. Bin ich nun für den Musikjob in einem Gottesdienst ungeeignet?
Ganz und gar nicht. Es gibt auch Profis, die alles falsch machen. Die die Stimmung im Gottesdienst einfach nicht identifizieren können, das Thema nicht mitbekommen haben. Das Wichtigste ist dein Gespür für die Sprache der Musik und ihre Ausdrucksmöglichkeiten. Wenn du über ein paar Grundkenntnisse und vor allem über einen gesunden Instinkt verfügst, kannst du das, worauf es ankommt. Und für alles andere kannst du dir Hilfe holen.
Hilfe! Ich spiele gar kein Instrument!
Tja, das ist tragisch, denn da hast du zumindest am Lagerfeuer Nachteile. Wenn’s romantisch wird, dann ziehen immer die, die der Gitarre „Am Tagen wie diesen“ oder womöglich auch „Knocking on Heavens Door“ entlocken können. Für einen Impuls oder einen Gottesdienst ist das nicht so schlimm. Du solltest eh immer die besten engagieren: Die schönste Stimme zum Lesen, den stimmungsvollsten Raum – und den besten Musiker oder die beste Musikerin. Und ehrlich gesagt: Es ist grundsätzlich gut, sich Hilfe zu besorgen. Denn alles alleine zu machen, also den Raum vorbereiten, sich was Schönes und Passendes überlegen, das Material besorgen, die Lieder aussuchen UND die dann auch noch selber perfekt spielen – mal ehrlich: Das schafft noch nicht mal der Alleinunterhalter bei Omas Geburtstag. Es ist sehr entlastend für dich, wenn du durch den Impuls oder Gottesdienst führst, jemanden an deiner Seite zu haben, der sich mit der Musik auskennt und auf den du dich verlassen kannst. Perfekt ist, wenn er oder sie auch noch selber schöne Ideen hat. Dann kannst du dich zurücklehnen und beim Singen selber mitjubeln oder dich der Stimmung hingeben.
Hier lohnt es sich zu investieren! Das bedeutet, diese Leute musst du pflegen! Mach ihnen Komplimente, zeig ihnen, wie sehr du ihr Können wertschätzt! Sag ihnen und allen Mitfeiernden, wie wichtig das ist, was sie tun! Bedanke dich nach einem Impuls oder Gottesdienst bei ihnen! Mindestens die Hälfte der Qualität im Gottesdienst steht und fällt mit der Musik. Und weil sie also sehr wichtig ist, was du auch schon längst selbst gemerkt hast, darfst du sie keineswegs stiefmütterlich behandeln. Chöre, MusikerInnen und Bands haben meist einen vollen Terminkalender. Wenn du also jemanden verpflichten willst – mach das niemals auf den letzten Drücker. Allein die Tatsache, dass du MusikerInnen rechtzeitig fragst, wird ihnen zeigen, wie wichtig für dich die Musik im Gottesdienst ist und wie sehr dir ihr Einsatz am Herzen liegt.
Tja, wirst du vielleicht sagen: Gute Idee. Aber ich kenne gar keine/n Musiker/in. Ich kenne noch nicht einmal ein Liederbuch. Auch dabei kannst du dir Unterstützung holen. In fast allen Bistümern gibt es jemanden, der sich in jugendgemäßer Musik auskennt, der die aktuellen Trends beim Neuen Geistlichen Lied parat hat und der dir aus einem unübersichtlichen Haufen verschiedener Liederbücher das beste empfehlen kann. Im Erzbistum Köln ist beim BDKJ der „AK SINGLES“ („Singen Internationaler Neuer Geistlicher Lieder – Ein Serviceangebot“) auf diese Fragen spezialisiert (http://www.bdkj-dv-koeln.de/angebote/ak-singles.html).
Hilfe! Niemand spielt ein Instrument!
Nun gut, kannst du einwenden. Zu meinem kleinen Abendimpuls kommt keine Band. Auch kein Chor. Und eine Gitarristin oder einen Klavierspieler haben wir auch nicht dabei. Jetzt zahlt es sich aus, dass du dir – schlau wie du bist – auf deinem ipod oder deiner Festplatte eine Sammlung von Liedern angelegt hast. Das kann Popmusik sein, das können Instrumentalstücke sein, die dir gut gefallen, die eine bestimmte Botschaft transportieren, eine Stimmung widerspiegeln oder in ein Thema einführen, das du dir vornehmen willst. Es gibt KirchenmusikerInnen, die finden, es ist ein „No-go“, überhaupt Musik einzusetzen, die nicht live gespielt wird. Okay, das würde ich auch sagen, wenn ich Mozart hieße oder wenigstens so gut Saxophon spielen könnte wie Van Morrison. Und: Du wirst beispielsweise niemanden finden, der so beeindruckend „Halleluja“ knarzen kann wie Leonhard Cohen in seinem gleichnamigen Stück. Das bedeutet: Manchen musikalischen Effekt, der deinem Gottesdienst, deinem Impuls oder Gebet eine besondere Tiefe geben kann, kann ein/e MusikerIn live gar nicht herstellen (es sei denn, du kennst Leonhard Cohen persönlich und er kommt zu deinem Abendimpuls vorbei). Also liegt es in bestimmten Fällen wirklich auf der Hand, Musik aus der Konserve zu benutzen[1].
Hilfe! Niemand kann singen!
Alle in deiner Gruppe sagen: Ich kann gar nicht singen! Und dir wird auch unwohl bei diesem Gedanken. Ich persönlich glaube, jede und jeder kann singen. (Und es singen sogar Menschen völlig selbstbewusst, bei denen tatsächlich JEDE/R sagen würde: Die können nun WIRKLICH nicht singen!)
Das Wichtigste beim Singen ist, dass sich die Menschen sicher fühlen. Es geht nicht darum, einen konzertreifen Auftritt hinzulegen. Es geht darum, eine Stimmung zu treffen. Dabei sind einfache Effekte oft die besseren, gerade wenn ihr euch mit Singen schwer tut. Einfache Liedrufe oder Taizé-Gesänge sind dann oft die nahe liegende Lösung. Nicht immer sind die textlich schönsten Lieder auch die für deinen Anlass und deine Gruppe richtigen. Und: Weniger ist mehr! Lieber einen einfachen Kanon möglicht sicher singen als viele komplizierte Lieder, bei denen ihr euch überfordert. Überhaupt: Vielleicht kommt es vor, dass du von einem Lied, das eine Band oder ein Chor in einem Gottesdienst gesungen hat, angefixt bist. Vorsicht! Ein ausgefeiltes musikalisches Arrangement lässt sich nicht immer auf eine kleine Gruppe wenig erfahrener SängerInnen übertragen. Und die Musik, die dich beispielsweise beim „Altenberger Licht“ mitgerissen hat, klingt auf einmal fremd oder fad.
Hilfe! Ich habe heute gar keine Idee!
Vielleicht hat aber die Gruppe die Ideen, die du gerade nicht hast. Frag sie! Dafür gehen dir an einem anderen Tag vielleicht deine Lieblingslieder nicht aus dem Kopf. Dann nimm sie und sage: „Heute feiern wir einen Gottesdienst mit meinen Lieblingsliedern.“
Lieblingslieder… Schönes Impulsthema übrigens.
(aus: ...und jetzt noch was Frommes. Handbuch zur Geistlichen Verbandsleitung, Düsseldorf 2012, S. 159ff.)
[1]
Siehe hierzu auch: Holger Walz: „Mit K. Jugendkultur, Popmusik und Spiritualität
bei der KjG“ in diesem Buch.